September - Oktober 2024
„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“
Jeremia 23, 23 (LU)
Ist Gott uns nahe oder fern?
Die Lutherübersetzung versteht hier wie auch andere Übertragungen (GNB, HfA) „nahe und ferne“ als Beschreibung unserer Beziehung zu Gott. Andere Übersetzungen verstehen Nähe und Ferne eher lokal wie z.B. die Elberfelder Übersetzung (vgl. NLB, Schlachter).
Letztere Lesart passt besser zum Kontext (V.24), weil Gott den Irrtum der falschen Propheten aufdeckt, dass seine Macht beschränkt sei und ihre lügnerischen Schönredereien ihm verborgen blieben.
Ich will kurz auf beide Aspekte eingehen. Gott nahe zu sein, ist mein Glück (Ps.73,28). Nach mehr Nähe zu unserem Vater durch unseren Herrn Jesus, danach sehnen wir uns alle. Als kürzlich unsere Nachbarin starb und wir zu ihrer Beerdigung gingen, staunten meine Frau und ich über die Offenheit einer anderen Nachbarin. Sie wollte gerne mehr darüber wissen, warum wir eine Hoffnung über den Tod hinaus kennen. Sie war sehr interessiert an meinem Glaubensweg und freute sich über weitere Begegnungen. Gottes Nähe in solchen Momenten zu spüren ist gewaltig.
Aber es gibt in meinem Leben auch die Erfahrung der Ferne Gottes. Während meines Theologiestudiums an der Uni Göttingen geriet ich in eine große Krise. Plötzlich war meine Beziehung zu meinem Vater im Himmel von Misstrauen durchzogen. Wie Psalmbeter schrie ich oft meine Not zu Gott heraus und fragte mich, warum Gott nicht die „Ratten“, die sich an meinem Herzen festgebissen hatten, totschlägt. Er schien mir oft so fern und ich hatte den Eindruck, dass ich wie Jakob einsam rang: Ich lasse dich nicht eher los, bis du mich gesegnet hast. Später erkannte ich, dass mich seine Gnade durchgetragen hat.
Jeremia muss dem Volk verkündigen, dass sie sich in einer falschen Sicherheit wiegen. Sie wähnen sich Gott nahe und sind doch fern von Gott. Ihre soziale Ungerechtigkeit, ihre ethischen Verfehlungen und ihr Götzendienst provozieren das Gericht Gottes. Aber die „Politiker“ und Verantwortlichen der „Kirchen“ richten sich nach denen, die nach dem Munde reden. Als die Zerstörung Jerusalems und die babylonische Gefangenschaft Wirklichkeit geworden sind, verhieß Jeremia Gottes Nähe gerade denen, die in der Ferne Babylons als Gefangene leben. Gott sagte ihnen mitten ihm Leid seinen Frieden, seine Hoffnung und Zukunft zu (Jer 29,11,13). Ein Wort, an das ich mich oft geklammert habe in schwierigen Zeiten.
David ist sich in Psalm 139 der Allgegenwart, der Allwissenheit und der Allmacht Gottes gewiss. Er wird nicht irre an Gott, weil er in ihm einen „Big Brother“ wittert. Im Gegenteil, er weiß sich bei ihm geborgen. Und doch bittet er Gott am Ende des Psalms, ihn zu prüfen, ob er noch auf dem richtigen Kurs ist, um ihn eventuell zu korrigieren. Wir brauchen alle Kurskorrekturen und noch mehr die Erfahrung seiner Nähe.